Studierende berichten: Aus dem Leben einer halben Studentin

2019, das Jahr der Klimademos, in der Schweiz wurde gewählt, Trump sitzt immer noch im Weissen Haus, Und ich so? Ich habe mich für das Studium von einem Fach entschieden, von dem ich vor einem Jahr noch nicht einmal gehört hatte.

Anfang des Jahres war ich hauptberuflich Informatikerin, seit 6 Jahren im selben Betrieb, ja sogar im selben Team, angestellt. Die Arbeit war angenehm, der Alltag selten stressig, ich hatte viel Zeit für meine Hobbies, Freunde, Familie, konnte auch mal spontan verreisen, also sozusagen living the good life.

Programmierer unter Stress (Bildquelle: https://www.xkcd.com/303/)
Jetzt studiere ich Geomatik im Teilzeitstudium. In den letzten drei Monaten beschäftigte ich mich also mit Grenzwertberechnungen, Vektorgeometrie, Vortragstechniken, Wahrscheinlichkeiten und vielen anderen Themen, die ich nach Schulabschluss mit zwei lachenden Augen zurückgelassen habe. Meine Tätigkeit als Informatikerin wollte ich natürlich auch noch nicht ganz aufgeben, also verbrachte ich den Grossteil der letzten Monate damit, Beruf und Studium unter einen Hut zu bringen, ohne meine Hobbies, Freunde und Familie zu sehr zu vernachlässigen. Mit mässigem Erfolg, Work-Life-Balance wurde zeitweise doch zu Work-Study-Balance.

Wie konnte es soweit kommen; Wieso tue ich mir das an?


Da war vor Allem der Wunsch nach etwas Neuem - das Leben ausserhalb der Welt der Informatik kennenlernen.
Die Informatik ist ein sehr interessantes und unglaublich grosses Gebiet. Es ist aber auch sehr abstrakt. Mir fiel das jeweils auf, wenn ich versucht habe, anderen Leuten von meinem Arbeitstag zu erzählen:

Ich: „Boah, heute habe ich so wirklich gar nichts zu Stande gebracht… Kurz, nachdem ich meine Codefixes gepusht habe..“
Sie: „Äh was? gepusht?“
Ich: „Öh ja, wenn du deine gemachten Änderungen auf den allgemeinen Codestand speicherst, so dass alle immer auf demselben Stand arbeiten oder so.. Auf jeden Fall habe ich die gerade gepusht, da kommt der Kollege und informiert mich, dass diese Fixes gar nicht nächsten Monat sondern erst übernächsten Monat aufs produktive System kommen sollen. Konnte also diese Änderungen auf diesem Branch… “
Sie: „Branch?“
Ich: „Also ein Branch ist eine Verzweigung vom Ursprungscode, brauchen wir z.B. wenn wir auf verschiedene Termine gleichzeitig entwickeln... Also musste ich die Änderungen auf diesem Branch rückgängig machen und auf dem Branch für übernächsten Monat committen. Dabei sind natürlich Konflikte aufgetreten, da irgendeiner schon am selben Code herumgebastelt hat. Hat mich den ganzen restlichen Tag gekostet das wieder aufzulösen, da der entsprechende Kollege leider schon weg war und ich mir nicht sicher war, was er da genau wollte. Bin jetzt ziemlich am Ende mit den Nerven.“
Sie: „Hm... Also hast du den ganzen Tag damit verbracht, ein paar Dateien abzuspeichern??“

Ich hätte mich natürlich nach einem anderen Gebiet innerhalb der Informatik umsehen können, aber wieso nicht gleich etwas ganz anderes? Programmieren mache ich nach wie vor gerne, aber vielleicht etwas weniger im Software-Entwicklungsumfeld, sondern in einem Gebiet, wo Code mehr als Mittel zum Zweck, denn als Endprodukt gesehen wird?
Ein paar Stunden intensives Googeln und Durchlesen von unzähligen Studiumsbeschrieben später bin ich auf das Bachelor-Studium Geomatik an der FHNW gestossen. Die Geomatik scheint genau diese Verknüpfung zwischen Realität und Programmieren anbieten zu können, nach der ich gesucht habe.
Ich entschied mich also aus spontaner Neugier dazu, ein neues Studium in Angriff zu nehmen. Vor Studienbeginn noch 2 Schnuppertage als Geomatikerin, um wenigstens ein bisschen mitreden zu können und los ging’s.
Es stellte sich nach kurzer Zeit heraus, dass mit genügend Abstand zur obligatorischen Schulzeit sogar der Mathematikunterricht wieder interessant sein kann!
Die Geomatik-bezogenen Module kommen im Teilzeitstudium erst im zweiten Jahr. Einerseits schön, dann kann ich mich auf einige wenige Module konzentrieren, andererseits hatte ich so auch einige Wochen nach Studienbeginn immer noch Mühe, die von meinem gesamten Umfeld immer wieder gestellte Frage „Geomatik?? Was ist denn das?" zu beantworten. Zum Glück waren ja da noch meine Mitstudenten, von denen die allermeisten aus dem Geomatikumfeld kommen. Durch Gespräche wurde der Begriff der Geomatik immer klarer, je länger das Semester ging. Das ist für mich auch ein riesen Plus von einem Studium überhaupt. Es geht nicht nur darum, sich Wissen anzueignen und Prüfungen zu bestehen, sondern in erster Linie um eine Horizonterweiterung. Das kann natürlich während den Vorlesungen passieren, aber öfters auch durch den Austausch mit Leuten aus anderen Fachrichtungen und mit anderen Hintergründen. Das Studium bietet genau dafür einen Rahmen.
Mittlerweile kann ich sogar ungefähr erklären, was denn Geomatik eigentlich ist, ohne überhaupt schon ein Modul in dieser Richtung besucht zu haben. Das verbuche ich jetzt schon mal als grossen Erfolg (und vereinfacht den Smalltalk erheblich, wenn wieder zum x-ten Mal dieselbe Frage kommt).

Jana Bärenbold, Studierende im 2. Semester